Be your own hero! - Eine persönliche Geschichte
“Whatever’s written in your heart, that’s all that matters. You’ll find a way to say it all someday…” singt Gerry Rafferty im Radio und ich beschließe nun ist der Zeitpunkt gekommen alles zu erzählen.
Unsere ganze persönliche Geschichte über unseren kleinen Karl, unseren zweiten Sohn.
Vorher hatte ich einfach noch keine Kraft und auch nicht den Mut dafür. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, wo alle es wissen sollen und dürfen und die Versteckspielchen ein für alle Mal ein Ende haben sollen…
Karl ist im Mai 2019 geboren, zu einem Zeitpunkt, wo mein Mann und ich gerade ein Haus gekauft hatten, dessen Umzug ich gar nicht selbst mitbekommen habe. Meine letzte Nacht bevor es ins Krankenhaus ging, hatte ich in unserer alten Wohnung verbracht und eine Woche später bin ich in ein Haus voller unausgepackter Umzugskartons, und ohne Baby gekommen.
Die Renovierung des Hauses und den Umzug hatte mein Mann, der nebenbei noch auf unseren großen Sohn Henri (zu diesem Zeitpunkt 3 Jahre alt) aufpasste und auch noch Vollzeit arbeitete, zum Glück mit der Unterstützung vieler Freunde und Familie irgendwie an der Grenze zum Burn-Out gewuppt. Während ich im Krankenhaus lag auf der Kinderintensivstation und die Kinderkrankenschwestern darum anbettelte mein Baby aus dem Inkubator nehmen um stillen zu dürfen.
Schon während der Schwangerschaft, in der ich damals noch berufsmäßig von Kiel nach Hamburg pendelte, stellte sich heraus, dass Karl irgendwie zu “klein” sei.
“IUGR - Intrauterine Wachstumsrestriktion” lautete die fachspezifische Diagnose und es könne auch an meinem Stress liegen, dass das Baby sicher noch wachsen würde, meinten die Ärzte.
Schnell bekam ich daraufhin ein Beschäftigungsverbot erteilt.
Der Organscan in der 20. Schwangerschaftswoche lies mich und meinen Mann aufatmen, alle Organe waren intakt, sahen gut aus und das war für uns schon Grund genug zu vertrauen. Sollte der Kleine eben etwas kleiner sein, wir haben familiär einige kleine Menschen, die nicht größer als 165 cm sind, was solls. Auch kleine Menschen können Großes bewirken. Hauptsache gesund.
Mein Mann und ich waren uns in dem Punkt schon immer einig, die Kinder, die zu uns kommen wollen, nehmen wir so wie sie sind. Und dieser kleine Kerl wollte zu uns kommen, das wusste ich damals ganz genau. Als ich ab der 14. SSW seine Bewegungen wahrnehmen konnte, hatte ich damit für mich etwas gefunden auf was ich immer vertrauen konnte.
Die Ärzte hingegen waren sich unsicher, warum er weiterhin so klein war und warum die Sauerstoffsättigung ab der 24.SSW teilweise so gering war. Die letzten 8 Wochen der Schwangerschaft ging ich fast täglich ambulant zum CTG Schreiben und wusste am Ende ganz genau, wie ich mich auf welche Seite legen musste, um die besten Werte zu erzielen. Ich tauchte ein in eine medizinische Fachwelt und wurde tatsächlich nach der Geburt gefragt, ob ich selbst Ärztin sei, weil ich die Fachbegriffe ebenso selbstverständlich benutzte.
In der 34. SSW meinte ein junger Oberarzt es sei an der Zeit für einen medizinischen Not-Kaiserschnitt, weil er so schlechte Werte gemessen hatte. Ich sträubte mich vehement dagegen und man redete mir ins Gewissen ich würde das Leben meines ungeborenen Kindes aufs Spiel setzen. Das Damoklesschwert des “intrauterinen Fruchttodes” schwebte nicht nur über mir, sondern stand auch schwarz auf weiß auf dem Wisch, dem ich diesem Oberarzt unterschreiben musste. Ich holte mir direkt nach der Untersuchung eine zweite Meinung von einem anderen Arzt ein, der nach erneuter Überprüfung der Werte die Meinung vertrat meinem Baby würde es in meinem Bauch besser gehen als in einem Inkubator und ein medizinischer Eingriff in Form eines Not-Kaiserschnittes sei nicht erforderlich. Ich weiß, der junge Oberarzt hat sicher nur seinen Job gemacht, zugegeben mit ziemlich geringer Sozialkompetenz, aber ich wusste für mich, so will ich es nicht und habe 100% auf meine Intuition vertraut. Ein Glück stand mein Mann total hinter mir und hat seine eigenen Ängste gut im Zaun halten können.
Dann habe ich mit meinem Mann zusammen nach anderen Ärzten Ausschau gehalten, die mich auch mal fragten, wie ich mir denn wünschen würde zu entbinden. Das war mal was ganz Neues. Nicht nur pathologisieren, sondern die Haltung des Patienten mit einbeziehen. Bravo! Da war ich dann (für mich überraschenderweise) in der Uni Klinik Kiel wirklich mal an einen Fachmann geraten und habe mit seinem Rat eine Einleitung in der 38. SSW bekommen und am nächsten Tag spontan und auf natürlichem Wege unseren kleinen Jungen lebend zur Welt gebracht in drei kurzen, aber unfassbar heftigen Stunden. Pustekuchen intrauteriner Fruchttod!
Da war er nun, unser kleiner Karl, gerade mal 49cm lang und mit 1930g noch nicht mal 2 Kilo schwer. Er hatte allerdings Probleme mit der Atmung und ist deswegen schnell auf die Kinderintensivstation gekommen, um über die Nasenschläuche Sauerstoff zu bekommen.
Ich hatte dann noch die schlimmsten Stunden meines Lebens, weil meine Plazenta sich auch nach einer Stunde nicht von allein lösen wollte und ich sehr viel Blut verloren hatte. Mein HB (Eisenwert) war von 11 auf 6,5 gerutscht. Plötzlich habe ich nur noch alles ganz verschwommen um mich herum wahrgenommen und die Ärzte versetzten mich in eine Narkose. Als ich wieder aufwachte, wollte ich natürlich sofort zu meinem Kind, da ich aber nicht laufen konnte schoben die Ärzte mich auf die Kinderintensivstation.
Nach einer unfassbar schweren Woche im Krankenhaus, in der ich fast ausschließlich auf der Kinderstation neben dem Inkubator von Karl saß, wurde ich mit elektrischer Milchpumpe entlassen und pendelte zwei Mal am Tag von unserem neuen Zuhause ins Krankenhaus, um die mühsam abgepumpte Muttermilch abzugeben und die Chance zu nutzen mit Karl zu kuscheln. Zuhause herrschte immer noch Umzugschaos, ein großes Kind was auch emotional begleitet werden wollte und ach einfach so viel Schwere und Chaos und eigentlich sollte ich noch im Wochenbett sein. Das konnte ich mir abschreiben und ich lies auch alle meine Ansprüche an frisch gekochtes Essen oder sonstiges fallen – es gab zu dieser Zeit wahnsinnig oft Bestellessen und Tiefkühlpizza. Es ging immer nur darum diesen Tag heute zu schaffen und dann wieder einen und wieder einen.
Karl musste noch eine weitere Woche im Krankenhaus bleiben, bis wir ihn endlich mit nach Hause nehmen konnten, weil er genug Gewicht hatte und selbstständig atmen konnte.
Nun dachten wir wäre alles Schlimme überstanden, wir konnten uns entspannen, uns einrichten als Familie zu viert.
Die Trinkschwäche von Karl bestand zwar weiterhin und ich quälte mich wirklich die ersten drei Monate mit allen möglichen Hilfsmitteln (Milchpumpe, Trinkhilfesets etc.) und mit der Hilfe und der Bestärkung meiner Hebamme, damit das Stillen endlich klappte. Dann endlich nach drei Monaten lief es plötzlich wie geschmiert und wir hatten eine wunderbare Stillzeit von insgesamt 19 Monaten. Und wer hätte gedacht, dass das besonders für ihn nochmal so sehr von Vorteil sein sollte…
Karl nahm zu und entwickelte sich weiter, aber irgendwie langsamer als ich das von meinem Großen kannte. Bei den ärztlichen Untersuchungen weit nach dem 6 Monat fiel irgendwann mal der Begriff “Mosaik-Trisomie 21” ohne großartige Erklärungen dazu. Dann wechselte ich den Kinderarzt und wir machten eine Blutuntersuchung auf Trisomie und es wurde tatsächlich bestätigt, dass Karl die freie Trisomie 21 hat.
Das war im April 2020. Kurz vor Karls 1. Geburtstag, der von Trauer über diese Diagnose gezeichnet war und mitten in der ersten Corona-Zeit, als sich sowieso alle zurückgezogen und isoliert haben. Das war unsere persönliche Krise in der Krise.
Damit klarkommen, die Trauer verarbeiten, annehmen was ist.
Und was soll ich sagen, wie immer ist es so, dass jede Krise ihre ganz eigenen Chancen als Geschenk mit sich bringt. So viele Prioritäten haben sich verschoben und der Blick konnte sich wieder aufs Wesentliche richten. Wir sind so froh, dass Karl da ist, und können uns ein Leben ohne ihn und seine extra Portion Liebe und Fröhlichkeit, die er großzügig verteilt gar nicht mehr vorstellen. Wenn die beiden Brüder miteinander abends im Bett kuscheln schmilzt mein Herz und ich bin einfach nur so froh und dankbar für unsere Familie.
Einige der wichtigsten Learnings aus dieser Krisenzeit teile ich hier nochmal mit Euch, vielleicht helfen Sie dem Einen oder Anderen ja auch.
- Nimm an was ist.
- Mach das Beste draus.
- Fühle Deine Gefühle und nimm wahr, wie Sie sich wieder verändern.
- Gehe immer Schritt für Schritt.
- Überstürze nichts und versuche nicht in die Zukunft zu sehen oder Dir sonst was auszumalen - versuche katastrophisierendes Denken zu vermeiden.
- Sei dankbar für das, was die Krise Dir schenkt. Frage Dich: Was ist das Gute daran?
- Priorisiere jeden Tag Dein eigenes Wohlergehen und wisse, was Dir selbst Kraft gibt. (Bei mir ist es: Schreiben, Spazieren gehen, mit Freundinnen reden, Musik hören, Badewanne, Sauna, Sport und gutes Essen)
- Hole Dir Hilfe, frage nach Unterstützung! Du musst es nicht alleine schaffen.
Ich freue mich über Eure Kommentare und wenn Ihr Fragen oder Anmerkungen zu dem Thema habt schreibt mir sehr gern an miranovarose@gmail.com.